Sonntag, 7. November 2010

Schuld war 12mR "Zinita" . . .

Meine Geschichte beginnt 1974.

Bis dahin verlief meine Kindheit aus meiner Sicht normal. In Heiligenhafen aufgewachsen verbrachte ich viel Zeit am Ostseestrand, wo man den vorbeifahrenden Schiffen hinterher schauen konnte und die von ihnen erzeugten Wellen einem schon mal die Gummistiefel vollschwappten, wenn man nicht aufpasste. Auf jeden Fall waren die Schiffe, wie sie erschienen und entschwanden, von besonderem Interesse. Wo sie herkamen, wusste jeder (aus dem Hafen). Aber wo sie hinfuhren, wenn sie am Horizont entschwanden, das konnte man nur erahnen. Und sich mit den anderen Bengels tolle Phantasiegeschichten darüber erzählen.

Unsere Nachbarn hatten eine Segelschule und besaßen schon immer ein Segelschiff. Das wechselte hin und wieder und wurde dabei immer größer. Anfang der 70er Jahre bekamen sie ein Schiff, für das der Hafen in der Nähe des Grundstücks meiner Eltern nicht mehr tief genug war.
Dieses Schiff konnte nur bei den großen Schiffen, bei den Kuttern im Stadthafen, festmachen. Es war das größte Segelschiff mit nur einem Mast. Der war so hoch, dass er nicht mehr unter der Fehmarn-Sund-Brücke hindurchpasste. Es hatte diesen flachen, langgestreckten, dunkelblauen Rumpf ganz ohne Aufbauten. Nur kleine Skylights und Luken aus Mahagoni waren auf dem riesigen Teakdeck zu finden.
Ein weißer Drachenkopf am Bug zierte den endlos langen Schiffskörper. Dieses Schiff musste schnell sein. Wenn nicht sogar das schnellste überhaupt. Der Name "Zinita" war am extrem schrägen Heckspiegel in weisser Schrift zu lesen.

12mR Zinita


Für uns Jungs eine unglaubliche Erscheinung. So oder so ähnlich mussten auch schon die Schiffe der Wikinger ausgesehen haben. Sie war ein "Zwölfer", eine 12mR-Yacht, gebaut 1926 auf der Werft von "William Five" in Schottland, wie ich später noch lernen sollte.
1974 ergab es sich, das ich zusammen mit dem Nachbarsjungen, der von kleinauf ein Freund von mir war und auch heute noch ist, zu einer mehrwöchigen Seereise an Bord gehen konnte.
Auf dieser Fahrt ging es nicht gerade geruhsam zu! Bei maximaler Besatzungsstärke mussten wir Jungs beim Essen aus Platzgründen oben auf den Seitenschränken sitzen. Neben dem Heimweh nach Muttern machte mir bei schwerem Wetter der Seegang zu schaffen. Ständig ging irgend etwas kaputt und musste im nächsten Hafen repariert werden.
Doch wo es auch hinging, stets war die "Zinita" der höchste Mast im Hafen.

Zinita in Svaneke, Bornholm
Die Hafenmeister wurden allesamt mit einer Flasche durchsichtigen Inhalts und einer Fledermaus drauf bestochen, um die horenden Liegeplatzgebühren für das große Schiff zu mindern. Wir Jungs gingen dann an Land und erkundeten die fremde Welt, bis es schließlich wieder hinaus ging auf See.

Das regelmäßige auf und nieder der Wellen,
das wiegende Deck unter meinen Füßen,
das straff gespannte Segel über mir ...
 Auch die Besatzungen der Feuerschiffe wurden schon mal bedacht, indem man längseits ging und ihnen gehörige Mengen Alkohol zukommen ließ, und sich am nächsten Tag über die ausgebliebene Wettermeldung des Betroffen im Radio amüsierte.
Aber auch die Mannschaft trank. Zu hunderten, wenn nicht zu tausenden kamen die grünen Flaschen aus den Tiefen der Bilge unter den Bodenbrettern hervor. Für uns Jungs gab es orangefarbenen Sprudel, doch der war bald aus. Dann gab es nur noch Bitter-Lemmon, ein Zeug, das ich bis heut´ noch nicht wieder mag. (An das Getränk aus den grünen Flaschen hab´ ich mich inzwischen gewöhnt.)
Und wie das Schiff segelte! Bei Starkwind wurden Frachter überholt, da half auch der plötzlich ganz schwarz werdende Rauch aus dem Schornstein nichts.

...bei Starkwind

Wieder zu Hause angekommen war die Welt nicht mehr wie vorher. Seekrankheit war kein Thema mehr, eher schwankte mir der feste Boden unter den Füssen. Mit Muttern lag ich ständig im Clinch, bisweilen fand ich sie sogar blöd.
Dafür stand ich am Strand und schaute mit Fernweh dem grossen blauen Drachenboot hinterher, wenn es wieder auslief. Wie es nach verlassen der Fahrrinne der Bug in den Wind drehte und die Besatzung mit der gewohnten Mühe die großen Segel setzte. Wie es dann vom Wind abfiel, seine Segelgeschwindigkeit aufnahm und in Richtung Horizont ablief.
Ohne mich, denn ich mußte ja wieder zur Schule.





Ich konnte mit der behüteten Welt an Mutters Rockzipfel nicht mehr so recht was anfangen. Neugier, Wissbegier, Unrast und die Suche nach dem Wunderbaren begannen mein Leben zu bestimmen. Die See hatte mich gepackt und ließ mich nicht mehr los.
Zwei Dinge standen zu diesem Zeitpunkt bereits fest, ohne das ich es schon wusste:

-     Ich werde später zur See fahren, und 
-     ich werde ein eigenes Boot haben – eines, das so segelt, wie dieses!

"Zinita-geschädigt" nannten meine Eltern diesen Zustand, auf den ich stets besonders stolz war und der mich auch heute noch in seinem Bann hält.


"Zinita-geschädigt"

Die grosse weite See . . .

. . . und dann kam 6mR "Sleipnir IV" !

1986 war ich seit vier Jahren bei der Marine und hatte bereits zweieinhalb Jahre Seefahrt als Elektronik-Unteroffizier an Bord von Ubooten absolviert. Seit Jahresbeginn befand ich mich in der Offizierausbildung. Mit meiner damaligen Verlobten, heute Ehefrau, bewohnte ich eine kleine Eineinhalb-Zimmer-Wohnung in Kiel.

Die YACHT-Zeitschrift gehörte schon damals zur obligaten Lektüre. Wir suchten ein Schiff und waren bereits um einen 30er Schärenkreuzer in Verhandlungen getreten, als mich meine Verlobte Anfang Mai auf eine Verkaufsanzeige in der YACHT aufmerksam machte:

6mR-Yacht G38 Bj.1938, A&R, Mahag.natur kompl. m. Zubeh. zu verk.

"Das ist eine kleine Zinita" gab ich zu bedenken, "Das kann man vergessen, unbezahlbar".
Mit meinem Offizieranwärtergehalt sah ich mich in der Lage, fünftausend Deutsche Mark für ein Schiff aufzubringen. "Ruf doch trotzdem mal an" war die Empfehlung meiner Verlobten. Es meldte sich eine alte Dame, die mir mitteilte, dass das Schiff für zehntausend Deutsche Mark zu verkaufen sei. Ich verabredete umgehend einen Besichtigungstermin. Also fuhren wir in unserem Käfer Cabrio zum Gut Eckhof in Strande, und da stand sie:

Auf einem Unimoggestell, in Mahagoni-natur und einem Holzmast mit drei Salingen! Lack- und Farbschichten waren in schlechtem Zustand, die Kernsubstanz hingegen voll in Ordnung, das vermochte ich festzustellen. Eine Saling war gebrochen.

Dieses Schiff musste es sein, da gab es keine zwei Meinungen! Wir meldeten uns bei der alten Dame und äußerten unsere Kaufabsicht, doch so einfach war das nicht. Zunächst wurden wir zum Kaffee eingeladen und ausgiebig befragt und mussten berichten.
Dieses Schiff war nicht einfach so zu kaufen, vielmehr musste man es adoptieren! Der alte Herr war sehr penibel damit gewesen, bauliche Veränderungen waren für ihn Frefel und eine Änderung des Original-Namens dürfe niemals stattfinden, das mussten wir an Eides statt versichern. So wurde man sich einig und es dauerte eine Weile, bis ich dieses Glück wirklich fasste. 

Alles weitere das Boot betreffend wurde von Herrn Dehning Junior abgewickelt. Der hatte eigentlich gar keine Zeit, denn er war stark in einer Umweltschutzgruppe engagiert, die gerade damit beschäftigt war, die Radioaktivität im Supermarktgemüse zu messen, denn die Tschernobyl-Katastrophe hatte gerade stattgefunden. Jedenfalls fand ich es bermerkenswert, wie er sorgfältig auf die richtige Reihenfolge beim Ablegen seines gelben Ölzeugs achtete, um sich nicht mit dem radioaktiv verseuchten Regenwasser zu kontaminieren. Von ihm erhielten wir das gesamte Zubehör des Schiffes, das sich in dem  Sommerhäuschen der Familie Dehning in Strande befand. Es reichte aus, um unsere kleine Kieler Wohnung in eine Segelkammer zu verwandeln.

"Sleipnir IV" 1986 in Strande
 

Sleipnir IV kommt nach Heiligenhafen

1986. Beim WHS/HSC (Westfälisch-Holsteinische Segler-Vereinigung mit Hochschul-Segelclub Münster e.V.) im Hafen nahe meines Elternhauses konnte ich einen Liegeplatz bekommen, also mußte das Schiff nach Heiligenhafen.
Große Möglichkeiten der Überholung gab es ohnehin nicht in Strande, deshalb wurde nur das Unterwasserschiff gestrichen und die kaputte Saling repariert. Außerdem wollte ich jetzt segeln, fürs Überholen würde ich die nächsten Jahrzehnte noch Zeit haben!


unterm Kran in Strande

Der Hafenmeister in Strande kannte das Schiff und auch die Vorbesitzerin hatte es angedeutet: "Das Schiff macht erst mal ordentlich Wasser. Das ist normal. Unbedingt eine Nacht in den Gurten hängen lassen!" Als wir am nächsten Morgen vorm Dienst anrückten, um nach dem Rechten zu sehen, hatte sich diese Prophezeihung voll erfüllt:
Der Schiffsbauch stand gestrichen voll Wasser, die Sitzbänke im Salon waren überflutet und die darauf abgestellte Werkzeugkiste abgesoffen. So fiel der Dienst an diesem Vormittag aus und es brauchte Stunden, bis wir mit unseren Pützen den Dampfer irgendwann leer hatten. Die elektrische Gartenpumpe meines Schwiegervaters war nun im Dauerbetrieb in der Lage, Sleipnir lenz zu halten.




Am Wochenende wurde der Mast gesetzt und das Schiff eingeräumt, dann konnte es losgehen: Überführungsfahrt nach Heiligenhafen!


Überführungsfahrt nach Heiligenhafen
  
Der Überführungstörn verlief relativ unproblematisch.

"Sleipnir IV" in Heiligenhafen 1986

Problematisch hingegen blieb allerdings das weiterhin eindringende Wasser. Im Hafen war eine über die Bordbatterie gespeiste zwölf Volt Bilgenpunpe ausreichend, im Seegang und bei Schräglage musste intensiv mit der Handpumpe unterstützt werden, um das Schiff über Wasser zu halten. Auf der Luvseite machten die Plankennähte mitunter so weit auf, das man in der dunklen Bilge grünes Tageslicht sehen konnte.
Einmal mußte eine Segeltour gegen die See nach Kiel abgebrochen werden, um vor dem Wind abzulaufen und den bis zu den Sitzbänken vollgelaufenen Kahn wieder lenz zu bekommen. Es dauerte Jahre, bis ich dem Mut fasste, energische Eingriffe in die Originalsubstanz des Rumpfes zu unternehmen, die endlich Wirkung zeigten.
In den ersten Jahren verfügte ich auch nicht über die Mittel, um das Schiff wünschenswert zu überholen und auszustatten. So beschränkten sich die Maßnahmen auf das, was mit viel Zeit, aber ohne viel Geld zu bewerkstelligen war. Bald erstrahlten alle Lackschichten in neuem Glanz, lose Verbindungen waren wieder fest, das immense Ruderspiel war beseitigt und das mit hellblauem "Tischtennisplattenbelag" bespannte Deck war abgedichtet und weiß überstrichen. 

Kurz nach der Anschaffung des Schiffes ließ ich allerdings bei Firma Toplicht in Hamburg einen recht teuren, über vier Meter langen Schiffsstander anfertigen, der das achtbeinige Pferd Odins mit langem Schweif in weiß auf rotem Grund darstellte und fortan im Mastop von "Sleipnir IV" zu sehen war, sowie das Schiff segelte.


 
Und so wurde gesegelt, solange es das Material aushielt - die Schoten bis sie brachen, die Schienen bis sie aus dem Deck flogen und die Segel bis sie rissen (Die wurden zunächst aber immer noch wieder repariert). 1988 ging es das erste Mal nach Dänemark.
Was mir nicht mehr gut erschien, waren
die Metallteile. Sie waren ursprünglich feuerverzinkt und vom Vorbesitzer mit einer Bleimenninge überpönt worden, unter der nun der Rost hervorquoll. Also wurden die Bodenwrangen und Beschläge des Rumpfes jeweils im Winterlager nach und nach ausgebaut und durch Neuanfertigungen aus Nirostahl ersetzt. Vor allem die Püttings, also die Stahlteile, die den Mast seitlich halten, jagten mir beim Ausbau doch einen gewaltigen Schrecken ein, da das einst zehn Millimeter dicke Material bis auf zwei Millimeter weggerottet war.
Die Kielbolzen hingegen sind aus Bronze gefertigt und halten das drei Tonnen Bleigewicht auch heute noch in seiner Position.
Im Laufe der Zeit war es mir dann möglich, auch finanzintensive Umbau- und Erneuerungsmaßnahmen durchzuführen, hingegen wurde die zur Verfügung stehende Zeit nun immer knapper.


1989 war ich Leutnant zur See und kam als Wachoffizier wieder an Bord eines Ubootes. Mein Kommandant sagte, als er von meinem Segelschiff erfuhr, daß ich "Das" wohl vergessen könne, denn ich würde in Zukunft keine Zeit mehr für sowas haben. Er behielt nicht recht. Ich nahm mir die für mein altes Schiff erforderliche Zeit, auch wenn es für die berufliche Kariere nicht immer förderlich sein sollte.
1993 endete meine Zeit als Wachoffizier und zum April wurde ich an die Marineschule Mürwik nach Flensburg versetzt. In diesem Jahr hatte Sleipnir noch den Liegeplatz in Heiligenhafen und es war das erste (und einzige) Mal gelungen, über das Hafenamt der Stadt Kiel einen Liegeplatz in Kiel-Stickenhörn (sozusagen direkt vor unserer Haustür) zugewiesen zu bekommen.
Trotz dieser beiden Liegeplätze befand sich "Sleipnir IV" den ganzen Sommer über in Flensburg, wo sie im Hafen der Marineschule Mürwik liegen konnte, da sie zur "Segelausbildung" in meinem Lehrgang genutzt wurde. Von den Skippern der "Marine-Zwölfer" erhielt ich seinerzeit Kenntnis von einer
"Veteranenregatta", die in Laboe gesegelt werden sollte.

Kurz vorm Startschuss zur "V. Internationalen Veteranenregatta"
  
So kam es, daß "Sleipnir IV" seit dem an den "Internationalen Veteranenregatten", später "German Classics Laboe", teilnahm. 

6mR"Sleipnir IV" neben 6mR"Steam"
am rostigen Pier des alten Hafens von Laboe 1993


Mit "Sleipnir IV" 1988 nach Dänemark

 

Skipper & Frau
 
Meine Frau wird leicht seekrank und war nie ein Freund ausgedehnter Seereisen. Natürlich kannte sie schon früh meine Begeisterung fürs Fahrtensegeln, wusste aber nicht, ob sie sie teilen sollte.

1988 konnte ich sie schließlich zu einer zweiwöchigen Fahrt mit unserem Segelboot überzeugen.

1988:
6mR"Sleipnir IV" längseits 12mR"Zinita"

Der Zustand des Schiffes damals war toll in der Farbe, aber eben nicht gerade umfangreich in der Ausrüstung. Ich hatte gerade mal ein Radio, ein altes Echolot, eine Pinpilot Selbststeueranlage, ein Schlauchboot, Borduhr und Barometer, vier Feststoff-Rettungskragen, eine Dreifarbenlaterne im Masttop, eine Signalpistole und zwei Jahre alte Seekartensätze an Bord.

Von meinem Vater lieh ich einen 5PS Aussenborder und einen kleinen Kompass, der vielleicht auf zehn Grad genau war. GPS war noch nicht erfunden und von einem AP-Navigator träumten wir. Ich lieh mir Hafenhandbücher und kopierte die relevanten Seiten. Ich kaufte einen Spirituskocher und einen Teak-Klapptisch, der sich auch heute noch im Salon befindet. Dann wurde das Boot mit Proviant ausgerüstet, die Klamotten eingestaut und schließlich in Heiligenhafen abgelegt.

Der erste Hafen sollte Gedser sein. Der Wind ließ im Fehmarn-Sund aber nach und eine strenge Stömung kam von vorn. Das irgendwann von achtern aufkommende, plätschernde Geräusch erwies sich als eine mit Bugwelle heranrauschende Fahrwassertonne, der wir gerade noch ausweichen konnten. Jedenfalls kamen wir an dem Tag nur bis Burg auf Fehmarn. Nächsten Tags ging es dann bei herrlichem Wetter unter Spinnaker weiter nach Gedser/Dänemark. Klintholm/Schweden sollte das nächste Etappenziel sein und Sleipnir kämpfte sich wacker gegen zunehmenden Wind und Seegang schräg von vorn.

Meine Mitseglerin hatte sich mit „Scheißegal-Pflastern“ gewappnet und verschwand bei Windstärke sechs unter Deck. Aus diesem Grunde entschied ich mich auf halber Strecke, das heimliche Ziel Bornholm aufzugeben und nach links in den Grönsund abzubiegen. Sowie die See von achtern kam und wir uns im geschützen Grönsund-Fahrwasser befanden, kehrten ihre Lebensgeister zurück und sie erschien wieder an Deck.

Von Stubbeköbing ging es erst eimal mangels Wind weiter in den Grönsund, bis wir schließlich abends unter Segeln die Insel Femö erreichten. In den kleinen überfüllten Hafen kam kurz nach uns im Halbdunkel eine H-Jolle mit deutscher Flagge gesegelt. Es handelte sich um ein Lehrer-Ehepaar aus Kiel, das sich gerade auf Hochzeitsreise befand, wie sich später herausstellte. Wegen Starkwind blieben wir einen Tag auf der Insel und luden die beiden am Abend auf unser Boot ein. Es wurde ein langer Abend.

Am nächsten Tag sollte dann aber ausgelaufen werden, was nach einigen Schwierigkeiten mit dem Motor auch gelang. So wurde mit Fahrtziel Omö unter vollen Segeln die Insel Vejrö an Backbordseite passiert. Nach zwei Stunden blieb wie erwartet eine Untiefentonne Nord an Backbord und mit ausgebaumten Segeln wurde mit Kurs auf die rot-weiße Tonne Omö-Sund weitergesegelt.

Das Fiasko. 

Das Schiff machte bei achterlichen fünf Windstärken anständig Fahrt, meine Frau hatte sich wieder unter Deck begeben. Ich steuerte den Kurs nach dem kleinen, geliehenen Kompass so gut es ging, nur kam auch nach einer Stunde die rot-weiße Tonne nicht in Sicht. Obwohl sich im Norden die erwartete Insel abzeichnete, konnte ich die Tonne nicht finden. Es war nicht das erste Mal, das ein erwartetes Seezeichen nicht da war, außerdem waren die Seekarten ja auch einige Jahre alt. Plötzlich wurde mitten auf der See das Wasser hell und das Echolot zeigte keine fünf Meter mehr unter Kiel! Umgehend leitete ich ein Segelmanöver ein um den Kurs zu ändern, doch bevor es dazu kam, lief Sleipnir
krachend auf Grund. Das Schiff legte sich quer zum Wind und beträchtlich auf die Seite! Von der Situation völlig überrascht geriet meine Frau in Panik. Mit jeder Welle des gut einen halben Meter hohen Seegangs wurde das Boot weiter auf die Untiefe gesetzt. Die dabei überwundenen Steine ließen das ganze Schiff erzittern und das Ruder wild hin- und herschlagen. Ein weiteres Versetzen auf die Untiefe musste unbedingt verhindert werden, also schrickte ich die Segel so weit, das sie gerade eben nicht zu schlagen begannen. Jetzt musste ich die Situation in den Griff bekommen, die Besatzung beruhigen, herausfinden was geschehen war und das Schiff irgenwie retten. Es gab
keine erkennbaren Schäden am Schiff und es machte zum Glück kein Wasser. Wir befanden uns also nicht in Seenot, und wo dieses Schiff mit seinen 1,80 Metern Tiefgang aufläuft, kann man stehen. Ich demonstrierte das, indem ich ins Wasser sprang, das mir bis zur Brust ging. Das beruhigte meine Frau. Das ich den im Westen vorbeiziehenden Segler nicht mit der Signalpistole alarmieren wollte, regte sie hingegen auf. Aber das kam nicht in Frage, denn wir waren nicht in Seenot. Ich griff mir die Seekarte: Es konnte nur so sein, dass ich die ganze Zeit 15 Grad zu weit links gesteuert hatte und die Inseln Omö und Ägersö und deren Leuchttürme verwechselte. Also sind wir
auf das Omö Tofte Riff aufgelaufen! Aber dann mussten sich im Norden von uns zwei Untiefentonnen befinden, die eine Durchfahrt durch das Riff kennzeichneten. Die waren nicht zu sehen. Ich sprang wieder ins Wasser und erkundete die nähere Umgebung. In Lee des Schiffes befanden sich keine Steine mehr und viel flacher wurde es auch nicht. Nach 30 Metern war das Riff zuende und es wurde wieder tief! Ich konnte mich an Lehrbücher erinnern, in denen geschrieben steht, dass man durch Dichtholen der Segel ein Segelboot über eine Sandbank bringen kann. Aber das galt doch eher für Jollen, oder? Egal, der Versuch schadet nicht. Nach Dichtholen beider Segel geriet der Rumpf wieder in Bewegung, der Sand knirschte unter dem Kiel. Jede Welle setzte Sleipnir ein paar Zentimeter nach lee. Mit zunehmender Wassertiefe wurden die Sätze immer größer, bis sich das Schiff schließlich ganz aufrichtete. Die Lehrbücher hatten recht, nach drei Stunden auf dem Riff war Sleipnir frei!
Nur unter Vorsegel segelten wir nun westlich um Omö herum. Jetzt kamen auch die beiden Untiefentonnen in Sicht, die in dänischen Gewässern recht klein ausfallen können. Von Westen her lief ein Fahrzeug der dänischen Heimwehr in Richtung Omö Tofte Riff, dem offensichtlich ein aufgelaufenes Segelboot gemeldet worden war. Es hat niemanden angetroffen. Das Erlebte reichte für den Tag und wir gingen in der Abenddämerung nördlich von Omö Leuchtturm vor Anker.
Am nächsten Morgen untersuchte ich bei einem Tauchgang den Kiel von außen. Auf 20 Zentimeter von  der Unterkannte waren Bleigewicht, Totholz und Ruder vom Farbanstrich freigelegt. Wie gesandstrahlt glänzte das Blei in der Morgensonne. 
Nichts als abgeschliffene Farbe also, das Schiff musste deswegen noch nicht einmal aus dem Wasser. Ach ja: Der Schäkel an der Dirk war bei der Aktion flöten gegangen.

1988 vor Langeland

Die zweite Woche des Segeltörns führte uns um Langeland herum durch den Svendborg-Sund bis um Ärö und dann zurück nach Heiligenhafen und verlief mit erheblichem Misstrauen dem Kompass gegenüber dann unspektakulär.


Sleipnir IV kommt nach Eckernförde

1994 erhielt ich mein erstes Uboot-Kommando und die Gelegenheit, im Marinestützpunkt Eckernförde einen Liegeplatz für mein Segelschiff zu bekommen.
So kam „Sleipnir IV“ zum MYCEN (Marine Yacht Club Eckernförde Nord) in den Kranzfelder Hafen.

Ihr Liegeplatz im Kranzfelder Hafen am 28.Juni 1994
(Oberleutnant zur See Robien übernimmt das Kommando über das Unterseeboot U15).
Hinter dem Heck: Der verdammte Ponton.
Im Herbst kam es zu einem schweren Schaden. Im Sturm riss sich im Marinehafen ein Ponton los und richtete über Nacht starke Beschädigungen am Schiff an. Ein riesiges Loch klaffte in der Backbordseite des Hecks, Planken und Spanten waren teils herausgebrochen und der Heckspiegel war praktisch nicht mehr vorhanden.
Die Segelsaison war damit beendet.
Das Loch im Rumpf wurde mit Segeltuch abgedichtet und das Schiff nur mit den Backstagen als achterliche Mastsicherung (ohne Achterstag, die Halterung hatte keinen Halt mehr) ins Winterlager gesegelt.

Alles Schlechte hat ja mitthin auch etwas Gutes:
Das Schandeck backbord achtern war ohnehin undicht und der Balkweger darunter deshalb angerottet, ich erkannte 
die Notwendigkeit einer Vollkaskoversicherung

"Kiel Classics 1998"
auf der Kieler Förde

Im Laufe der Jahre wurden Planken ausgetauscht und verleistet, das komplette Deck erneuert und in geändertem Layout samt Cockpit-Anordnung neu erstellt. Der hohe Aufbau mit auf Deckshöhe befindlichem Cockpit wurde durch besser zur Linie des Schiffes passende,
flache Aufbauten mit dahinterliegendem, tiefen Cockpit ersetzt.


Nur ein Skylight und Luken aus Teak und Mahagoni sind heute noch auf dem Deck von „Sleipnir IV“ zu finden.


Eine weiße Linie mit Pfeilspitze am Bug ziert den in Mahagoni-natur lackierten, 11,20 Meter langen, aber mit nur 1,80 Meter Breite extem schlanken Schiffskörper.

Robbe & Berking Classics Week 2002
vor der Marineschule Muerwik in Flensburg
Klassiker Regatten 2003
in Laboe


Warten auf das Winterlager
(2004)

Mittwoch, 13. Oktober 2010

Der neue Mast

Der alte Mast im August 2004. Kurz nach Auslaufen auf dem Hinweg von Eckernförde nach Laboe zu den Klassiker Regatten wurde „Sleipnir IV“ von orkanartigen Böen getroffen. Alleinsegelnd hatte ich alle Mühe, mit der dafür zu großen Segelfläche klar zu kommen. Mit Besorgnis beobachtete ich beim Reffen den sich unter der enormen Last schüttelnden und verdrehenden Mast. Ich erreichte Laboe mit der Gewissheit, dass mein Schiff so etwas aushält.

Auf der Rückfahrt wehte es mit beschaulichen sechs Windstärken, aber einer für die Ostsee typischen, kurzen und steilen See, in die das Schiff heftig einsetzte. Auf dem Stollergrund hatte ich gerade zwei mitlaufende Yachten überholt und gewendet, als das Unerwartete geschah.

010 02,5'E 54 31,8'N, mit splitterndem Krachen knickte der Mast nach lee und knallte neben den Rumpf ins Wasser! Sleipnir verlor rasch an Fahrt und legte sich quer zur See. Ohne den Mast hat der Rumpf eine extrem geringe Rollperiode und schlug in dem kurzen, hohen Seegang wild von Backbord nach Steuerbord. Alles, was nicht niet- und nagelfest war, flog durch die Gegend. Es war nahezu unmöglich, sich an Oberdeck zu bewegen. Meine größte Sorge galt den in lee treibenden Wrackteilen, die nun an den Rumpf gedrückt wurden. Es gelang, die Bruchstücke des Mastes mit beiden fast neuen Segeln an Deck zu bekommen und zu fixieren. Die Überholten hatten das Geschehen beobachtet und einer der beiden drehte bei, um Schlepphilfe anzubieten. Ich befand mich bei dem ablandigen Wind zwar nicht in Seenot, war aber dennoch dankbar, denn ganz ohne Segel war ich ungewohnt manöverierunfähig.

Wieder im Hafen . . .

Wieder im Hafen war ich froh, die Bruchstücke und vor allem die beiden neuen Segel geborgen zu haben. Die Situation hätte sicher ein Kappen aller Drähte und die Aufgabe der im Wasser befindlichen Riggteile gerechtfertigt, was die Schadensumme beträchtlich erhöht hätte.

Der Sachverstaendige ermittelte als Havarieursache
"Alterung des Materials"

Nach 58 Jahren hatte nicht etwa das Holz, sondern der damals verwendete Leim  großflächig nachgegeben. Vermutlich wurden die Verleimungen beim Fiasko auf dem Hinweg bereits so in Mitleidenschaft gezogen, das es auf dem Rückweg nur noch heftiger Stampfbewegungen bedurfte, um sie entgültig versagen zu lassen. 


Das Datum 19.VI.46 war an der Innenseite des Mastes angebracht
 
Zum Glück ist "Alterung des Materials" als versichertes Risiko in meiner Wehring & Wolfes Klassiker-Vollkasko-Versicherung ausdrücklich erfasst. 



Der neue Mast. 

Das Holz . . .

Die Boots- und Yachtwerft A.Sick in Rendsburg fertigte den neuen Mast . . . 

. . . wird zum Rohling.

. . .  nach den Original-Unterlagen von „Abeking & Rasmussen“.

Der Rohling . . .
. . . mit Lack . . .

Der ist gut einen halben Meter länger als der Alte.

. . . mit Salingen und Fallwinsch.

Natürlich gab es bei der Gelegenheit auch neue Salinge, Wanten, Stagen und Beschläge. . .

Kopfbeschlag

. . . und ein neues Mastschinensystem. . .

fast fertig

. . . und einen neuen Baumbeschlag . . . 

Der neue Mast wird "probegestellt"

. . . und eine Fallwinsch. Und... und... und.




Der fertige Mast 2006